Jeder Baum zählt: Warum Baumschutz für die Architektur entscheidend ist

Baumschutz ist Verantwortung, nicht nur Gesetz.
Architektur muss Bäume schon in der Planung schützen.
Wann, wie und warum ist Schutz entscheidend? Worauf sollten wir achten und welche Vision hat die Branche für die Zukunft?
Wir haben Stefan Heimig gefragt.
Jetzt weiterlesen und entdecken, wie Baumpflege unsere Städte, unsere Umwelt und unsere Zukunft prägt.

greeen!: Welche Rolle spielt ein Baum im Zusammenhang mit Artenvielfalt und Naturschutz?

Stefan: Ein Baum ist tatsächlich ein Mikrokosmos, ein riesengroßes Thema. Gerade auch in Bezug auf den Artenschutz, der viel zu lange stiefmütterlich behandelt wurde, rückt das immer stärker in den Fokus. Nehmen wir zum Beispiel eine große Eiche oder eine Linde: So ein Baum beherbergt im Regelfall zwischen 300 und 400 verschiedene Arten in seinem Habitus, das ist einfach Fakt. 

greeen!: Welche Bedeutung hat der Baum für uns Menschen und auch über den Artenschutz hinaus?

Stefan: Viele Menschen vergessen, welche Leistung ein Baum erbringt, ganz ohne Entgelt. Ohne Bäume gäbe es keinen Sauerstoff, und ohne Sauerstoff gäbe es uns nicht. Der Baum dagegen kann problemlos ohne den Menschen existieren. Wir aber nicht ohne ihn. Das ist eine einfache Rechnung: Bäume waren lange vor uns da, und sie werden auch noch stehen, wenn wir längst verschwunden sind. Das ist kein Sarkasmus, sondern schlichter Realismus.

greeen!:Welche ökologischen Leistungen erbringt ein großer Baum?

Stefan: Die ökologischen Leistungen eines großen Baumes sind enorm und wird häufig völlig unterschätzt. Nehmen wir als Beispiel eine große Eiche mit einer Kronentraufe von 25 bis 35 Metern. Dieser Baum produziert pro Jahr Sauerstoff für mindestens 100 Menschen. Doch weil Atmen für uns selbstverständlich ist, wird dieser Wert kaum wahrgenommen. Erst wenn er fehlt, merken wir, wie existenziell er ist.

Hinzu kommt die Wirkung auf das Klima. Ein Baum spendet Schatten, kühlt seine Umgebung und wirkt den Hitzebelastungen in Städten entgegen. Schauen wir etwa in die Schweiz, wo Bergrutsche zunehmen, oder in den Süden Italiens, wo Temperaturen von 50 bis 55 Grad erreicht werden. Das sind Entwicklungen, die deutlich machen, wie gravierend die klimatischen Probleme sind. Die Dimensionen sind gigantisch. Mir geht es dabei nicht darum, alles schwarz zu malen, sondern darum, die Realität klar zu benennen.

greeen!:Wann ist der richtige Zeitpunkt, um Bäume umzusetzen, und wie gelingt das in der Praxis?

Stefan: Am besten sollte man das im Winter machen, wenn der Stoffwechsel des Baumes heruntergefahren ist. Bei Laubbäumen funktioniert es dann deutlich besser. Im Hochsommer dagegen ist es fast unmöglich, weil die Belastung für den Baum schlicht zu groß ist.

Die Firma Opitz hat hier eine sehr hohe Erfolgsquote (rund 80% bei verpflanzten Bäumen). Gerade bei großen Exemplaren ist das beachtlich, denn dafür braucht man enorme Maschinen, große Mobilkräne und viel Fachwissen. Ich sage immer: Wenn wir in der Lage sind, Windkraftanlagen von 150 Metern Höhe zu bauen, dann sollte es auch möglich sein, einen 40 Meter hohen Baum zu verpflanzen. Alles andere ist schwer nachvollziehbar und da spielt eben auch Politik eine Rolle.

greeen!:Welche Gefahren entstehen für Bäume, wenn Wurzeln bei Bauarbeiten verletzt werden, und welche Maßnahmen sind im Vorfeld sinnvoll?

Stefan: Es ist eine einfache Tatsache: Sobald Wurzeln verletzt oder gar abgerissen werden, entsteht eine hohe Gefahr, dass Pilze, Viren oder Bakterien über die offenen Wunden in den Baum eindringen. Solche Infektionen können den gesamten Baum schwächen oder sogar zum Absterben führen.

Dabei muss jeder Baum individuell betrachtet werden. Faktoren wie Vitalität, Habitus und Art spielen eine entscheidende Rolle. Eine vitale Hainbuche beispielsweise kann Verletzungen oft besser kompensieren, da sie schnell und effektiv abschottet. Andere Arten reagieren deutlich empfindlicher: ihre Wurzeln sterben nach Beschädigungen schneller ab, und Pilzbefall tritt häufiger auf.

Schädigungen der Wurzeln wirken sich nicht nur auf die Versorgung des Baumes aus, sondern auch auf seine Standsicherheit. Schon ein Verlust von etwa 10 % der Wurzelmasse gilt als massiv, bei 15 % spricht man in der Regel von einem Totalschaden, da der Baum sich weder ausreichend versorgen noch stabil im Boden verankern kann. Besonders im Sommer verschärft sich das Problem, weil die Wasseraufnahme stark beeinträchtigt ist und der Baum zusätzlich Energie für die Wundabschottung aufwenden muss. Fehlt diese Energie, können aggressive Pilze wie die Brandkruste den Baum innerhalb kurzer Zeit absterben lassen.

Um solche Risiken zu minimieren, sollten Schutzmaßnahmen rechtzeitig, idealerweise ein Jahr vor Beginn von Bauarbeiten im Boden, umgesetzt werden. Das ist eine „goldene Regel“ im Baumschutz. Grundsätzlich gilt: Baumfachleute sollten frühzeitig in die Planungsprozesse eingebunden werden, damit die Vitalität und Standsicherheit der Bäume langfristig gewährleistet bleibt.

greeen!:Wie blicken Sie auf die aktuellen Klimaziele und die gesellschaftliche Verantwortung im Umgang mit der Klimakrise?

Stefan: Da wird mir ehrlich gesagt angst und bange. Wir haben einen Berg von Problemen vor uns, und das, was wir gerade erleben, ist nur ein Vorgeschmack. Ich sprach mit einer Professorin, die ganz klar sagte: Die politischen Aussagen rund um die 1,5-Grad-Grenze sind schlicht nicht realistisch. Wir müssen uns auf 4 bis 5 Grad Erwärmung einstellen – mindestens. Denn unsere Landmassen heizen sich viel schneller auf als die Ozeane. Das ist keine Meinung, das ist Physik.

Natürlich verstehe ich den Wunsch nach Sensibilisierung. Ich habe selbst jahrelang Kinderkletterkurse gegeben, Vorträge gehalten und versucht, Bewusstsein zu schaffen. Doch irgendwann verliert man den Enthusiasmus, wenn man merkt, wie groß die Widerstände sind. Klar ist: Es braucht ein radikales Umdenken, eine echte Sensibilisierung und vor allem Wertschätzung. Denn diese Wertschätzung ist nicht nur ein schöner Zusatz, sie ist lebensnotwendig. Ohne sie werden wir untergehen, das ist einfache Biologie und Klimaforschung.

Die Politik spielt dabei eine zentrale Rolle. Es geht nicht darum, die Verantwortung allein auf sie abzuwälzen, aber wir brauchen klare Rahmenbedingungen, Entscheidungen und Wege. Stattdessen erleben wir leider zu oft Blockaden und Verantwortungsflucht. Viele Entscheidungsträger wollen Verantwortung lieber abgeben, statt sie zu übernehmen und genau das verschärft die Problematik.

greeen!: Warum spielt der Baumschutz auf Baustellen eine immer größere Rolle?

Stefan: Der Baumschutz auf Baustellen wird tatsächlich immer wichtiger. Manche Kommunen gehen sehr unterschiedlich damit um. Einige packen das Thema pragmatisch an und versuchen, es nicht politisch aufzuladen. Andere sind dagegen stärker von politischen Strukturen abhängig. Ein gutes Beispiel ist die Stadt Hamburg. Dort gelten seit vielen Jahren strenge Vorgaben: Hamburg ist in diesem Bereich ein echter Pionier.

Es geht nicht nur um Ökologie, sondern auch um Ökonomie. Die Kosten für die Sanierung oder den Erhalt von geschädigten Altbäumen sind exorbitant im Vergleich zu den Aufwendungen für Schutzmaßnahmen während einer Baustelle. Nehmen wir als Beispiel eine große Buche mit 35 Metern Höhe. Wenn dieser Baum durch Bautätigkeiten beschädigt wird, stirbt er innerhalb weniger Vegetationsperioden ab. Ihn wieder zu stabilisieren ist kaum möglich. Und ein geschädigter Baum birgt auch Gefahren: Wenn er im oberen Bereich trockenes Holz verliert, sprechen wir nicht von ein paar Kilo, sondern von Tonnen, die herabstürzen können.

Die Wohlfahrtswirkung eines solchen Baumes ist enorm, doch genau das wird noch viel zu oft unterschätzt.

greeen!: Warum ist es für Sie so wichtig, Bäume zu schützen und was wünschen Sie sich für die Zukunft des Baumschutzes?

Stefan: Ich habe in meiner Arbeit so viele Bäume gerettet, wie es möglich war und genau daran merkt man, wie dringend wir handeln müssen. Wir Baumfachleute haben die Notwendigkeit längst verstanden: Es braucht massives und schnelles Handeln. Einen Baum kann man nicht in Geldwerten bemessen: sein ökologischer Gesamtwert ist schlicht unbezahlbar. 

Mein Wunsch wäre, dass wir im grünen Bereich und überall dort, wo dieses Verständnis schon vorhanden ist, nicht immer nur Verluste hinnehmen müssen. Wir brauchen eine höhere Erfolgsquote beim Erhalt, damit unsere Arbeit nicht nur Schäden begrenzt, sondern wirklich Zukunft sichert.

Vielen Dank, Stefan, für Deine tolle Arbeit und Deine Zeit mit uns. Wir wünschen Dir weiterhin viel Erfolg und mehr Bewusstsein in unserer Gesellschaft, damit Baumschutz stärker priorisiert wird.

Mehr über die Firma Baumpflege Heimig:
https://baumpflege-helmig.de

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